Hofgeismar

05.06.1941- 16.06.1941

Als einer von mehreren hundert jungen Männern aus Frankfurt und Umgebung, die am 05.06. morgens im Hof der Gutleut-Kaserne in Frankfurt zu einem Rekrutentransport zusammengestellt wurden, gelangte ich am gleichen Tag in mehrstündiger Eisenbahnfahrt nach Hofgeismar. Vom Bahnhof marschierten wir geschlossen zur Manteuffel-Funkerkaserne, einem weitläufigen alten Gebäudekomplex, wo wir militärisch ausgebildet werden sollten. Bei der sofort vorgenommenen Einteilung kam ich zur 3. Kompanie (Funkkompanie) und wurde der Stube 60 zugewiesen, die am äußersten Ende des Hauptgebäudes im Obergeschoß lag. Die Gesamteinheit, zu deren Bereich außer der Funkerkaserne noch eine weitere Mannschaftsunterkunft in Hofgeismar gehörte, war die Nachrichten-Ersatz-Abteilung 9.

Die Ausbildung, an der ich zunächst zehn Tage lang teilnahm, erstreckte sich auf Exerzieren, Geländedienst, Schießübungen, allgemein-militärischen Unterricht, vor allem aber auf Funkdienst, hinter dem die übrige Ausbildung zurücktrat. Wir wurden stubenweise in die Grundlagen der Telegrafie (Morse-Alphabet) eingeführt und nahmen bald darauf an den ersten Funkübungen von Stube zu Stube und im Kasernenhof teil.

Im Hören und Geben (Tasten) machte ich gute Fortschritte. Auch die Ausbildung auf dem Exerzierplatz und im Gelände bereitete mir nur wenig Mühe, da der Dienst, verglichen mit meinen Erfahrungen im RAD, in durchaus gemessenen Formen vonstatten ging.

Unsere Ausbilder waren Unteroffizier Staderberg, ein angenehmer Korporalschaftsführer mit urwüchsigen Redensarten, der kurz darauf durch den jüngeren und lebhafteren, doch ebenfalls erträglichen Unteroffizier Wilke abgelöst wurde; ferner Oberfunker Graf, ein etwas dienstälterer Soldat, der mit uns in Stube 60 wohnte und von uns laut Vorschrift als “Herr Oberfunker” angeredet werden mußte; weiterhin mehrere Wachtmeister und Offiziere. Von fast allen Vorgesetzten wurden wir verhältnismäßig anständig behandelt.

Unsere Korporalschaftsstube war mit zweistöckigen eisernen Betten, Spinden (zu je zwei Mann ein Spind), einem Tisch und Hockern ausgestattet. Ich hatte das untere Bett an der Fensterseite bezogen. Mehrmals wurden wir bei Nacht durch Fliegeralarm aufgeweckt. Wir mußten uns dann im Dunkeln ankleiden und den Luftschutzkeller aufsuchen, der in einem entfernten Teil der Kaserne lag. Bomben fielen nicht.

Etwa nach sieben Tagen Ausbildung befiel mich während des Dienstes eine krankhafte Müdigkeit mit fiebrigen Erscheinungen, die mehrere Tage anhielt. Ich meldete mich jedoch nicht krank, weil ich möglichst schnell eine erfolgreiche Ausbildung hinter mich bringen wollte, um dann den “Ersatzhaufen” verlassen zu können. Am 15.06. (Sonntag) fühlte ich mich wohler, doch zeigten sich jetzt scharlachartige Ausschläge am Körper. Nachmittags nahm ich noch die zum ersten Mal gebotene Möglichkeit wahr, im Ausgehanzug die Kaserne zu verlassen, und sah am Abend zusammen mit einigen Kameraden im Kino den Film “Die schwedische Nachtigall”. Am Morgen des 16.06. begab ich mich dann zum Abteilungsarzt. Es wurde einwandfrei Scharlach festgestellt. Ich durfte nicht mehr zu meiner Stube zurückkehren und wurde noch am gleichen Tag in einem Dienstauto nach Kassel zum Lazarett überführt.